Experimentation Field

The "Industry 4.0 Collaboration Lab"

Article within the current edition of the KIT magazine lookKIT on information at the Karlsruhe Institute of Technology, Edition 1/2017. The text was written in German, an excerpt is available in English at the end of the text.

 

Mittelständler zögern, in Technologien zu investieren, deren Mehrwert sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Hier setzt das "Industrie 4.0 Collaboration Lab" an, das am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) im September 2014 gemeinsam mit der Bechtle AG und der SolidLine AG, dem FZI Forschungszentrum Informatik am KIT sowie einer Reihe weiterer Industriepartnern aus der Taufe gehoben wurde. Die Professorin Jivka Ovtcharova hat als Institutsleiterin des IMI bereits 2008 ein auf Digitalisierung ausgerichtetes "Lifecycle Engineering Solutions Center" (LESC) aufgebaut. Die dort entwickelte Hard- und Softwareumgebung konnte jetzt zu einem 3-D-Experimentierfeld ausgebaut werden, in dem mittelständische Unternehmer durch die Methoden und Werkzeuge der Virtual und Augmented Reality ganz umittelbar die Optionen und Chancen von Industrie 4.0 kennenlernen können. Das Labor ist als Testumgebung für "Mittelstand trifft Forschung" konzipiert. Der Diplom-Kaufmann Michael Grethler verkörpert die enge Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis als Leiter der Stabsstelle "Industrie 4.0 Collaboration Lab" am IMI. In dieser Funktion arbeitet er zugleich für die Intustriepartner Bechtle AG und SolidLine AG an zwei Forschungsprojekten zum Thema Digitalisierung von Produktionsprozessen.

lookKIT: Seit die deutsche Kantzlerin 2013 die Initiative "Plattform Industrie 2.0" gestartet hat, sind in Deutschland eine Reih von Testumgebungen der vierten industriellen Revolution entstanden. Was ist das Besondere am "Collaboration Lab"?

Professorin Jivka Ovtcharova: „Bei Industrie 4.0 geht es um sehr viel mehr als nur Produktionsprozesse. Das gesamte Wirtschaftssystem wird auf digitalen Geschäftsmodellen und werteschaffenden Interaktionen zwischen Anbietern und Kunden aufbauen. Dabei sind vor allem die Menschen betroffen. Deshalb steht der Mensch im Zentrum unseres ganzheitlichen Ansatzes. Hier bietet die virtuelle Realität enorme Vorteile zum Beispiel durch ,3-D-Experience‘. Bei uns können die Mitarbeiter der mittelständischen Unternehmen die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Transformation intuitiv und praxisnah erleben. Mithilfe von maßgeschneiderten Simulationsszenarien und mit Datensätzen aus der eigenen Praxis können sie auf pragmatische Weise die Antwort auf die Frage bekommen: Wie generiert man durch Industrie-4.0-Lösungen messbare Mehr - werte für das Geschäft? Mit dem Industrie 4.0 Collaboration Lab stellen wir gezieltes LösungsKnow-how zur Verfügung. Die enge Verbindung der digitalen mit der physischen Welt unter dem Stichwort ,Cyber-Physical Systems (CPS)‘ wird überall zum Entstehen sogenannter eingebetteter Intelligenz führen. Für die Unternehmen bedeutet dies Dezentralisierung. Flache Organisations- und Produktionsstrukturen werden es erlauben, vor Ort rascher Entscheidungen zu treffen und sich der Fluktuation der Märkte weitgehend automatisch anzupassen.

Michael Grethler:  „Die Fabrik der Zukunft bietet eine ungeahnte Flexibilität bei optimalem Ressourceneinsatz. Industrie 4.0 ist eine Chance für Deutschland, als Produktionsstandort, Fabrikausrüster und Anbieter von Business-IT noch stärker zu werden. Die Besonderheit liegt in der Zusammenarbeit von Unternehmen mit der vordersten Frontlinie der Forschung. Die Technologieregion Karlsruhe stellt ein kleines Silicon Valley dar. Es gibt hier viele engagierte Unternehmen im IKTBereich. Sie haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen. Damit ist es gelungen, die Mittelständler für das Thema zu sensibilisieren. Das ist sehr wichtig, denn es gibt kein fixfertiges Industrie-4.0-Paket, das man irgendwo von der Stange kaufen könnte.“

lookKIT: Was wind die wichtigsten Herausforderungen, die mit Industrie 4.0 auf die mittelständischen Unternehmen zukommen?

Jivka Ovtcharova:  „Durch die Vernetzung der Maschinen und ihre Nachrüstung mit Sensoren entstehen große Datenströme. Damit müssen die Mitarbeiter umgehen können. Sie müssen lernen, sie zu erfassen und auszuwerten, damit die darin enthaltenen Informationen für ein agiles Prozessmanagement genutzt werden können. Das ist keine Aufgabe, die man an einen externen ITDienstleister delegieren kann. Bei uns können Mittelständler die verschiedenen Szenarien in Simulationen durchspielen. Woher kommen die Daten, wie werden sie erfasst, wie müssen sie aufbereitet und analysiert werden? Das geschieht anhand der realen Daten des jeweiligen Unternehmens, weil sich Mittelständler meist durch sehr individuelle Geschäftsmodelle auszeichnen. So kann der konkrete Mehrwert eines Investments in die 4.0-Technologien demonstriert werden. Zugleich können wir zeigen, dass sich der Benefit auch kurzfristig realisieren lässt. Das ist wichtig, weil die Planungsintervalle des Mittelstands kürzer sind. Eine wichtige Zielgruppe sind auch die Ingenieure von morgen. Für die Lehre hat das Lab große Vorteile. Unsere Studierenden beteiligen sich direkt an den Industrie-Studien und erarbeiten während ihres Studiums praxisnahe 4.0-Problemlösungen.“

Michael Grethler:  „Neben der Bewältigung der technologischen Voraussetzungen stellt die Ver- änderung der Infrastruktur eine wichtige Herausforderung dar. Damit ist die stetige Bereitstellung und Aufrechterhaltung der notwendigen Infrastruktur gemeint: Netzkommunikation, Breitbandvernetzung, Cloud Computing, Data Analytics, Cyber Security, sichere Endgeräte sowie Machine-to-Machine-Lösungen. Weitere Herausforderungen sind die vertikale und horizontale Integration und die Vernetzung der Produktion in Echtzeit, das Engineering und das damit verbundene digitale Product-Lifecycle-Management (PLM) über den gesamten Wertschöpfungsprozess. Hier wird Cloud Computing das alte Client-Server-Modell ersetzen, was ebenfalls einen Mentalitätswandel voraussetzt. Schließlich kommt der Bereich der automatisierten Steuerung von Produktionsprozessen hinzu. Das sind die zentralen Themen, mit denen sich ein mittelständisches Unternehmen beschäftigen muss, wenn es heute seine Strategie im Rahmen von Industrie 4.0 entwickelt. Das Ziel dabei ist immer eine ressourcenschonende Herstellung individuell konfigurierter Produkte und die Entwicklung innovativer Dienstleistungen. Industrie 4.0 sehen wir in erster Linie als Lean Manufacturing. Ein Optimum ist erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann. Nach Big Data kommt Lean Data. Die neue Technologie darf nicht zum Selbstzweck eingesetzt werden.“

lookKIT: Haben Sie eine Erklärung für die Zurückhaltung der Mittelständler?

Michael Grethler: „Bisher wurde bei den kleinen und mittleren Unternehmen die Schlüsselrolle der Informationstechnologien noch nicht wirklich erkannt. IT-Instrumente wurden ad hoc nach den jeweiligen Bedürfnissen einzelner Abteilungen eingeführt. In der Regel fehlt ein Gesamtkonzept. CAD-Programme sind ein Beispiel. Durch sie wurden die Ideen der Entwicklungsabteilungen bereits in dreidimensionale Modelle überführt. Der nächste Schritt wäre es jetzt, diese digitalen Informationen für die gesamte Prozesskette zu nutzen. Wir zeigen im Lab, wie das gehen kann. Wir präsentieren den Mittelständlern integrative Modelle der Datenverarbeitung in Echtzeit. Wir demonstrieren die Vorteile, wenn von der Entwurfsidee bis hin zur Fertigung optimiert gearbeitet werden kann, sodass jeder an der Wertschöpfungskette Beteiligte zu jedem Zeitpunkt genau die Informationen bekommt, die er für eine im Hinblick auf den Gesamtprozess optimale Entscheidung braucht. Ein Konstrukteur weiß dann sofort, wann er seinen Entwurf umsetzen kann, ob alle notwendigen Werkzeuge dafür vorhanden sind, oder zusätzliche Anschaffungen notwendig sind, wie es mit der gegenwärtigen Auslastung der Maschinen steht. Um diese Vision zu verwirklichen, werden im Rahmen des Labs Integrationslösungen für Enterprise-Resource-Planning-Systeme, Computer-Aided Design Systeme, und Manufacturing Execution Systeme entwickelt. Also Integration in genau jenen Bereichen, die für die vernetzte Automatisierung entscheidend sind. Mittelständische Unternehmen verfügen hier in der Regel nur über Insellö- sungen, was die Ausschöpfung des Potenzials erschwert. Wir beweisen, dass man heterogene Komponenten mit dem kleinstmöglichen Aufwand verbinden kann. So entstehen Modelllö- sungen, die dann auch ohne kostspielige Unternehmensberatung umsetzbar sind. Das weitaus größte Hindernis aber ist die notwendige Qualifizierung und Weiterbildung der Mitarbeiter. Hier muss das IT-Know-how verbessert und eine stärkere Einbindung in Innovationsprozesse ermöglicht werden. Die Arbeit verändert sich. Die standortgebundene Fabrikarbeit verwandelt sich zunehmend in mobile, virtuelle Arbeit, die durch intelligente Assistenzsysteme unterstützt werden muss. Oft fehlt es dafür noch an den Handlungsspielräumen, die durch dezentrale Führungsmodelle eigenverantwortliche Entscheidungen zulassen. Die Grenzen werden weniger durch den Stand der Technik gezogen, als durch unsere Fä- higkeiten, diese Technik in einer sinnvollen Art und Weise zu kombinieren und einzusetzen.“

lookKIT: Von amerikanisher Seite gibt es den Vorwurf gegenüber dem deutschen Industrie-4.0-Konzept, dass es sich zu sehr auf den Produktionsprozess fokussiere und die Chancen der Produktinnovation aus den Augen verliere. Ist diese Kritik berechtigt?

Jivka Ovtcharova: „Wenn die mittelständischen Unternehmen die Möglichkeiten der Produktinnovation durch Industrie 4.0 nicht ausschöpfen, kann es sein, dass Dienstleister die Früchte ihrer Investitionen ernten. Die Produktion ist eben nur ein Glied in einer langen Kette. Die Portfolioplanung und die Erfassung der Anforderungen beispielsweise sind bisher nur unzureichend berücksichtigt. Es gibt kein funktionierendes Informationssystem für das Anforderungsmanagement. Und auch das Feedback von den Nutzern der Produkte wird noch nicht systematisch erfasst. Dabei ändert sich hier gegenwärtig durch die Sharingeconomy ungeheuer viel. Die Nutzbarkeit und das Service Prototyping stehen immer mehr im Vordergrund. Diesen Paradigmenwechsel wollen wir auch dem Mittelstand vermitteln. In diesem Zusammenhang spielt unser Big-Data-Analyse-Portfolio eine Rolle. Die Fülle der generierten Daten kann eben nicht nur zur Optimierung der Produktionsprozesse, sondern auch für eine schnellere Anpassung an die sich wandelnden Anforderungen der Märkte genutzt werden.“

Kontakt: jivka ovtcharova does-not-exist.kit edu und michael.grethler@kit.edu Das Gespräch führte Dr. Stefan Fuchs

 

Excerpt in English

The "Industry 4.0 Collaboration Lab"

Translation: Maike Schröder

 

The “Platform Industry 4.0” initiative launched by the Federal Ministry of Research and the Federal Ministry for Economic Affairs has created a number of test environments in which good practices are analyzed and use cases are developed. The “Industry 4.0 Collaboration Lab” of the Institute for Information Management in Engineering (IMI) headed by Professor Jivka Ovtcharova specifically focuses on virtual and augmented reality instruments. They are used to visualize the advantages of digitization of production processes to the staff of medium-sized companies. The data sets applied in the simulation scenarios are provided by these companies. At the center of this KIT project is the human being. Individuals see the scope of decision-making associated with embedded intelligence. Location-based factory work will change. Without further qualification and a change of mentalities, the advantages of Industry 4.0 cannot be used by small and medium-sized companies. An example is the use of big data resulting from digitization of the production process. 3D scenarios are planned for use in the qualification of staff members. The Collaboration Lab also is a means of educating future engineers at KIT. Here, students develop close-to-practice 4.0 problem solutions. Close collaboration with information and communication technology companies in the region facilitates exchanges and helps optimize production and develop viable products.

 

Contacts: jivka ovtcharova does-not-exist.kit edu and michael.grethler@kit.edu