Do Not Disturb!

Sensitive Software Interprets Situations and Reacts Accordingly

Article within the current edition of the KIT magazine lookKIT on information at the Karlsruhe Institute of Technology, Edition 1/2020. The text was written in German, an excerpt is available in English at the end of the text.

 

Dr. Anja Exlers Fitness-Tracker signalisiert der Trägerin gelegentlich, dass sie zu wenig Tiefschlaf bekommt. Das ist nicht weiter überraschend und auch nicht so leicht zu ändern für die Mutter zweier Kleinkinder und somit eine Information, auf die sie vermutlich verzichten könnte. Würde sie die Smartwatch dagegen warnen, dass ihr Blutdruck viel zu hoch ist, sähe es vielleicht anders aus. Genau damit befasst sich die Informatikerin in ihrer Forschung. Sie möchte nämlich via Smartphone herausfinden, wann welche Information für wen gerade relevant und damit gewünscht ist.

Smartphones hat inzwischen fast jeder in der Tasche oder in Sichtweite. Und damit auch die Möglichkeit, 24/7 auf Empfang zu sein: für Newsfeeds, Posts, Abfragen, Aktualisierungen, Werbungen und so weiter. Wer online ist, hat die Tür zur digitalen Welt weit aufgemacht. Nicht immer ist der Einstrom von Informationen jedoch gewünscht oder notwendig, und manchmal nervt er auch gehörig. Auf der anderen Seite sind Smartphones die smarte Möglichkeit, relevante Daten von (potenziellen) Kunden abzufragen. Das Handy bietet dazu mannigfache Optionen, zum Beispiel über die Orte, an denen sich Nutzerinnen und Nutzer aufhalten, ihre Gewohnheiten oder Interessen und vieles mehr. Hier die Spreu vom Weizen zu trennen, darum geht es Anja Exler, grob gesagt. In ihrer Promotion hat sie Systeme für Smartphones untersucht, die es ermöglichen, qualitativ hochwertige Daten zu sammeln und gleichzeitig die Informationsfluten für Nutzerinnen und Nutzer zu reduzieren. Für die am Institut für Telematik des KIT verfasste Doktorarbeit erhielt die Informatikerin im vergangenen Jahr den Erna-Scheffler-Förderpreis für Forscherinnen des KIT Soroptimist Club Karlsruhe.

„Handys sind Segen und Fluch zugleich“, sagt sie. „Einerseits sind sie ein tragbares Sensorsystem, das uns mit relevanten Informationen versorgt und zur Kommunikation dient. Dies ist in der Forschung sehr nützlich, beispielsweise bei der Umfragemethode ‚Experience Sampling‘. Dabei bekommen Probandinnen und Probanden in Studien quasi nebenher Fragen über ihren Alltag gestellt.“ Um den Nutzer jedoch nicht mit Informationen zu überfluten, seien Maßnahmen notwendig, um Lästiges abzufangen und wichtige Informationen durchzustellen. Deshalb ist ein Kompromiss zwischen Abfragehäufigkeit und Probandenzufriedenheit wichtig. Der Nutzer soll gewissermaßen da abgeholt werden, wo er gerade steht und das auf die Weise, wie er es am liebsten mag. Das heißt, an der Tankstelle beim Tanken wäre etwas Zeit für eine Abfrage auf dem Handy, beim romantischen Candle Light Dinner aber nicht. Und während der eine am ehesten auf Vibrieren reagiert, ist es beim anderen eine rote Texteinblendung auf dem Startbildschirm. Genau diese Unterscheidung sollen intelligente Systeme, wie sie Anja Exler entwickelt, leisten; sensible Software mit Einfühlungsvermögen sozusagen.

„In meiner Arbeit beschäftige ich mich grundlegend mit der Erkennung physischer Aktivitäten eines Nutzers und der Kontexte, in denen er sich befindet“, erklärt Exler. Smartphones bieten sich für ihre Untersuchungen als Datenerfassungsgerät an, da sich somit ein extra Gerät erübrigt, es außerdem kein großer Eingriff ins alltägliche Leben ist und die Befragten nicht weiter einschränkt. Außerdem besitzen die kleinen, mobilen Begleiter sehr viele interessante Sensoren und Datenquellen, die Informationen liefern. All diese Daten können genutzt werden, um den Benutzer im Alltag zu unterstützen. Beispielsweise könnte das Smartphone bei Erkennen der Aktivität „Joggen“ das Design des Musikspielers anpassen und relevante Knöpfe wie „Play/Stop“ oder „Vor/ Zurück“ vergrößert darstellen und andere Knöpfe ausblenden. Denkbar ist auch, dass eine solche Erkennung genutzt wird, um Anomalien im Verhalten des Nutzers festzustellen. So könnte beispielsweise das Smartphone erkennen, dass die betroffene Person gestürzt ist und automatisch einen Notruf auslösen. Genau in Richtung Gesundheitsprävention oder Krankheitsverhinderung könnte sich Anja Exler ihre weitere Forschungsarbeit vorstellen. „Das betrifft uns alle“, so die Wissenschaftlerin, die überzeugt ist, dass man mithilfe Künstlicher Intelligenz das Gesundheitswesen in vielerlei Weise unterstützen könnte.

Ihre wissenschaftliche Arbeit ist eine klassische Schnittstellenforschung: Es geht um Informatik ebenso wie um Psychologie, und genau deswegen ist Anja Exler auch begeistert von ihrer Disziplin: „Informatik ist vielseitig und hat bei Weitem nicht nur mit Programmieren zu tun; dafür bin ich das beste Beispiel.“ Während das Fach auch heute noch bei Frauen als mögliches Studienfach eher unten auf der Liste steht, war Anja Exler schon als Schülerin klar, dass sie in diese Richtung gehen wollte. Als Erste in der Familie, die studierte, brauchte es aber auch einen starken Willen. Ihr Umfeld sah die Studienwahl anfangs eher skeptisch. Nicht zuletzt deswegen engagiert sie sich in der Initiative ArbeiterKind. „Wir ermutigen Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung dazu, als Erste in ihrer Familie zu studieren“, sagt sie. Überhaupt brauchen Frauen gelegentlich noch einen extra Schubs, um sich etwas zu trauen, meint Anja Exler. Sie selbst hat sich diesen Anschub durch MINT-Programme, Mentoren und Lerngruppen selbst organisiert. Und auch für die nächste Karrierestufe hat sie sich wieder planvoll eine Förderung gesucht: „Ich bin im Mentoringprogramm ‚Traumberuf Professorin‘ und habe in diesem Rahmen einen Mentor an der Hochschule, der mir schon viel mitgegeben hat“ erzählt sie.

Kontakt: anja exler does-not-exist.kit edu

 

Excerpt in English

Sensitive Software Interprets Situations and Reacts Accordingly

Translation: Maike Schröder

 

Last year, computer scientist Dr. Anja Exler received the Erna Scheffler Sponsorship Award of the Soroptimist Club Karlsruhe for her doctoral thesis written at Institute of Telematics at KIT.

“My thesis basically deals with the recognition of physical activities of a user and their context,” Exler explains. Smartphones have proved to be highly useful devices for collecting data for her studies, as they have many sensors and data sources providing information. All these data can be used to support users in everyday life by not disturbing them with undesired messages in inappropriate situations. For example, when a smartphone recognizes the user is jogging, it could display a music player and enlarge the relevant icons, such as “play/stop” or “forward/back,” while keeping other buttons hidden. This activity recognition function could also be used to determine anomalies in the behavior of the user. The smartphone might recognize that the user has fallen, for instance, and automatically trigger an emergency call.

Exler’s thesis covers research at interfaces. It is about computer science as well as psychology. And this is why Anja Exler is so fascinated by her discipline: “Computer science is highly diverse and covers far more than programming. I am the best example.” Her parents and relations initially were very skeptical about her decision to start university studies. This is one of the reasons why she started to work in the Working-class Child Initiative. “We encourage pupils from working-class families to be the first in their family to start university studies,” she says. In her opinion, women sometimes need an extra push to dare something. Exler got her push by participating in STEM and mentoring programs as well as study groups. For the next step in her career, she has already lined up support: “I am participating in the mentoring program ‘Traumberuf Professorin’ (dream job professor) and have a mentor at the university, who has helped me at lot,” she says.

Contact: anja exler does-not-exist.kit edu